New York 1978. Im Studio 54 regiert Disco-Sound. Nicht selten kam der von Acts des Labels Sam Records. Eine aktuelle Kompilation bereitet dessen Katalog neu auf.
New York 1978. Im Studio 54 regiert Disco-Sound. Nicht selten kam der von Acts des Labels Sam Records. Eine aktuelle Kompilation bereitet dessen Katalog neu auf.
imago/Manel Armengol

Die Geschichte der Weiss-Brüder gäbe den Stoff für eines dieser Auswanderer-Epen, wie sie Martin Scorsese über die italienische Diaspora verfilmt hat. Zwei in Rumänien geborene jüdische Brüder, die im New York der 1940er-Jahre ins Plattengeschäft einsteigen, also zu einer Zeit, in der das ein halbseidenes Geschäft ist, verfangen zwischen der lokalen Mafia, windigen Clubbetreibern, gierigen Verwertungsgesellschaften, korrupten Radio-DJs – und Typen wie den Weiss-Brüdern Sam und Hymie.

Hy, wie Hymie abgekürzt wurde, galt als Erfinder des 50-Dollar-Handshakes. Das bezeichnete ein Händeschütteln, bei dem ein 50-Dollar-Lappen versteckt den Besitzer wechselte. Hy Weiss bezahlte damit Radio-DJs. "Warum soll ich mit Typen essen gehen, die ich nicht leiden kann? Nehmt das Geld und spielt die verdammte Platte."

Dieser Zugang lässt weniger auf die Liebe zur Musik Rückschlüsse zu als auf geschäftliche Effizienz. Damit waren die Weiss-Bros nicht allein. Diese Payola genannten Schmierungen waren illegal, aber die Regel. Die Weiss-Brüder gründeten 1950 das Label Old Town und hatten Hits mit Gruppen wie The Fiestas, The Solitaires oder Bill Bland. Lou Reed belieh später den Solitaires-Song Later For You Baby für Foggy Notion, was Hymie Weiss einen Credit-Eintrag auf einem The-Velvet-Underground-Album einbrachte.

Antony Rosano

Wie es sich gehört, zerstritten sich die Brüder, und der als umgänglicher beschriebene Sam Weiss (1926–2008) machte seinen Weg im Vertrieb und kehrte in den 1970ern mit einem der Einfachheit halber Sam Records genannten Verlag wieder ins Labelbusiness zurück.

Es war die Zeit, in der Disco in den New Yorker Clubs einzog, und Weiss besaß den richtigen Riecher. Sam Records wurde in den folgenden Jahren zu einem der wichtigsten Disco-Labels. Eine eben erschienene, auf drei CDs oder zwei LPs angelegte Anthologie resümiert die Arbeit von Sam Records.

Jack Honky

Dessen Output kam aus jener Subkultur, an die Beyoncé vor zwei Jahren mit dem Album Renaissance zu erinnern versuchte: an die oft schwule, multikulturelle Discokultur, deren Hedonismus in langen Nächten eine Egalität herstellte, die es im Alltag nicht gab. Die Musik karibischer Einwanderer, von Latinos, aus Funk und Soul und zusehends vom Synthesizer kommend, verschmolz mit Elementen aus Blaxploitation-Soundtracks oder der hypnotischen Maschinenmusik, mit der Giorgio Moroder im fernen München die Klangwelt veränderte. Sam Records führte die Mischung aus Studiotechnik und Livemusik an den Siedepunkt.

Sam – The Sound of New York City 1975–1983 bildet das in allen Facetten ab. Es spannt den Bogen von der ersten Veröffentlichung des Labels bis zu dessen Ende, als Hip-Hop oder Elektro aufgetaucht waren und deren Ästhetik sich ebenfalls im Sam-Katalog abbildete.

Bedürfnis der Tanzenden

Nachdem die ersten Veröffentlichungen Singles waren, reagierte Sam Records auf das Bedürfnis der Tanzenden: Die Songs sollten nicht nach drei, vier Minuten enden, das hypnotische Potenzial dieses Sounds verlangte nach einer längeren Spieldauer, nur die Maxisingle gewährleistete das.

So beginnt die Kompilation nicht mit der ersten Single, die Sam je veröffentlicht hat, nicht mit Doris Dukes dreieinhalbminütigem Woman of the Ghetto, sondern mit der Albumversion des Songs, der erst ein Jahr später als Maxi veröffentlicht wurde. Die fast achtminütige Version des Marlene-Shaw-Klassikers verführt noch heute jeden Stiffo dazu, den John Travolta in sich zu suchen. Der vom Deep Soul kommenden Doris Duke gelang damit ein Klassiker. Und es sollte nicht der einzige bleiben, den Sam veröffentlichte.

Antony Rosano

Mit Keep On Dancin' von Gary's Gang folgte ein Smash-Hit, der sich 500.000-mal verkauft hat und Sam Records zu den Platzhirschen des Fachs machte. Mörder ist auch I Can't Stop von John Davis & The Monster Orchestra – ein weiterer Sam-Klassiker.

Der Höhenflug von Disco war kurz und rasant. Die Geschichte von Sam Records endet auf der Sammlung mit 1983, doch Weiss' Sohn Michael gründete 1991 das Label Nervous und einverleibte sich das Erbe seines Vaters zu einer Zeit, in der sich die Clubmusik über House und Techno anschickte, langsam auch jene Musik zu würdigen, mit der viele ihrer Protagonisten aufgewachsen waren. Die Musik von Sam Records fand Eingang in neue Mixes, wurde von Produzenten in Edits weiterverarbeitet und damit am Leben erhalten. An die Originale reicht allerdings wenig davon heran, wie Sam – The Sound of New York City 1975–1983 in aller Pracht beweist: Keep on dancin'! (Karl Fluch, 25.4.2024)