Die Weltherrschaft hat man ihr schon zugetraut und das Ende vieler Professionen, aber: Hangover als Wirkung Künstlicher Intelligenz (KI) ist eine neue Dimension ihrer Fähigkeiten. Nach eineinhalb Jahren Spielen, Probieren, Amüsieren über absurd falsche Antworten auf falsch formulierte Fragen, nach unzähligen hektisch begonnenen KI-Projekten beobachtet der oberösterreichische KI-Berater Gerhard Kürner einen "KI-Hangover" bei vielen Unternehmen, vor allem mittelständischen.

Kürner konstatiert den KI-Kater Dienstagabend bei einer "Standpunkte"-Veranstaltung der Agenturgruppe House of Communication Wien in Kooperation mit dem STANDARD über Künstliche Intelligenz. Die will, so scheint es, zugleich als Reparaturseidel oder zumindest Alka Seltzer gegen diesen KI-Kater wirken, in der Kommunikationsbranche und bei deren Kundschaft jedenfalls. Mit konkreten Beispielen, wie Künstliche Intelligenz in Werbung und Mediaplanung schon und wohl künftig eingesetzt wird.

Kevin Prösel leitet das AI Lab der Serviceplan-Gruppe in München. Er bringt als Anschauungsobjekt das agentureigene und nach der Gruppe benannte KI-Tool Generate.AI mit. Es ermöglicht virtuelle Fotoshootings, die sehr rasch Kampagnenbilder mit unterschiedlichen Posen, Lichtstimmungen, Umgebungen visualisieren können, Kollektionen in Echtzeit zeigen und "mit dem Bild eines Nutzers oder einer Nutzerin plus Körpermaße auch personalisierte Kataloge" denkbar machen, auch gedruckt.

Simone Jocham (Mediaplus) und Kevin Prösel (Serviceplan AI Lab).
Virtuelles Fotoshooting mit agentureigenem KI-Tool am Schirm: Simone Jocham (Mediaplus) und Kevin Prösel (Serviceplan AI Lab).
Christian Fischer

"Wie gehen wir ethisch korrekt mit Daten um?"

Das agentureigene Tool wurde abseits der großen Namen von Open AI und Midjourney bis Adobe und Alphabet/Google auf der Basis von Open Source Software an der Münchner Ludwig-Maximilians-Universität entwickelt. Damit begegnet man einer Vielzahl von vor allem rechtlichen Datenfragen: Wie kann man ausschließen, dass Kundendaten mit KI-Einsatz großer Modelle für andere Kunden verwendet werden? Wie kann man weitestgehend ausschließen, dass Bilder anhand von Werken und Daten generiert werden, mit denen Copyrights und/oder Persönlichkeitsrechte verletzt werden? Die Eigenentwicklung laufe in einer privaten Cloud, pro Kunde eine eigene Instanz, auf Basis lizenzierter Bilddaten, erklärt Prösel. Denn: "KI braucht Daten, um etwas zu generieren. Generative KI ist schwierig zu beherrschen, wenn es um das Thema Daten geht." Da stelle sich die Frage: "Wie gehen wir ethisch korrekt mit Daten um?" Er antwortet mit der Eigenentwicklung.

Wohin könnte die Reise der KI in der Werbung gehen? "Interessant ist die Verschmelzung", denkt Prösel an eine "multimodale Instanz", ein KI-Tool, das Funktionalitäten wie Bildgebung, Text und Logik kombiniere. Das damit angepeilte Ergebnis: "Tagesaktuelle, automatische Analyse von Zielgruppen, darauf basierend wird Bildkommunikation generiert." Das klingt schon ziemlich stark nach automatisierter, aber auch kreativer Kampagnenführung. Prösel betont: "Es braucht schon noch echte Menschen dazu", die mit KI-Unterstützung aber "viel kreativer arbeiten können".

Die Pro-Vision der Kommunikation

In welche Richtung denkt Simone Jocham Künstliche Intelligenz? Sie ist Senior Consultant Innovation der Mediaagenturgruppe Mediaplus. Ihre Perspektive kommt durch die Apple Vision Pro, das im Februar präsentierte Mixed-Reality-Headset des Tech-Riesen – und fällt auf die Möglichkeiten dieses Tools für Marketing und Storytelling der Zukunft. Sie macht sie an einem sehr praktischen Beispiel fest, ohne virtuelle Höhenerfahrung oder Dinosaurier im Besprechungsraum: Früher erzählte man Freundinnen vom Beyoncé-Konzert, schickte ihnen Textnachrichten, dann Fotos und später Videos (so es Beyoncés Konzertreglement noch erlaubte). Künftig könne man sie mit Mixed-Reality-Brillen unmittelbar teilhaben lassen.

Apple Vision Pro zum Ausprobieren bei der
Ein fröhlicher Blick in die Zukunft der Werbung: Apple Vision Pro zum Ausprobieren bei der "Standpunkte"-Veranstaltung über KI-Einsatz im Arbeitsalltag.
Christian Fischer

Schon im Einsatz hat sie indes ein KI-Tool namens N.e.r.o., mit dem man sich auf das Ende von Cookies vorbereitet, mit denen bisher Zielgruppen sehr gezielt mit Digitalwerbung angesprochen werden können. Der Crawler arbeitet sich laufend durch zehntausende Nachrichtenartikel, analysiert sie nach Inhalten und Tonalität und steuert so, wo welche Werbung nach Interessen und passendem Umfeld ausgespielt wird. Jocham mit Blick auf die auch die Onlinewerbung dominierenden Tech-Riesen wie Google, Apple, Facebook/Meta und Amazon: "Wir wollen ja nicht allein bei den GAFAs buchen, sondern auch lokale Publisher unterstützen." Was nicht allein Moderatorin Nana Siebert, stellvertretende Chefredakteurin des STANDARD, gern hört.

KI mit Ketchup-Effekt

KI verbindet jedenfalls, bei der Frage, worum es geht. So schnell mit KI umgehen zu lernen, wie sie sich einsetzen lässt und wie ganz sicher nicht. Rasch und konzentriert damit arbeiten, das rät Unternehmensberater Kürner (506.ai): "Wie wir sie anwenden, wird das große Thema sein." Prösel greift zu Goethes Zauberlehrling und wird "die Geister, die ich rief, nun nicht mehr los". Und sagt: "Damit müssen wir alle umzugehen lernen."

Ketchup brachte Jocham vom branchenlegendären Medien- und Tech-Festival South by Southwest in Austin, Texas, mit: KI erlebe gerade ihren "Ketchupflaschenmoment": Lange tut sich nichts, und dann klatscht auf einmal viel zu viel auf den Teller, "und man weiß nicht, was man damit anfangen soll". Und ja, "es ist viel" da auf dem Teller. Aber: "Es muss niemand Experte in allem sein. Wichtig ist, mal anzufangen." (red, 24.4.2024)