Marcel Hirscher stellt sich wieder der Herausforderung.
Anders Wiklund/TT; via www.imago

Marcel Hirscher plant ein Wettkampf-Comeback. Das bestätigten der ÖSV und Vertreter seiner Skifirma Van Deer-Red Bull Sports am Mittwoch in einem Pressegespräch, ehe der 35-jährige Salzburger selbst Stellung bezog. "Ich hätte gerne die Möglichkeit, ab und zu Rennen zu fahren", sagte Hischer, der seine Karriere 2019 beendet hatte. "Einfach, weil es mir Spaß macht." Starten will er künftig für die Niederlande, das Geburtsland seiner Mutter. Aber geht es wirklich nur um den Spaß an der Sache? DER STANDARD bat den Ex-Skirennfahrer und TV-Experten Hans Knauß um eine Einschätzung.

STANDARD: Ist der Comebackplan von Marcel Hirscher mehr als nur ein Marketing-Gag?

Knauß: Ja, natürlich ist es mehr. Er wird ausloten wollen, wie weit er nach vorn marschieren kann. Er will wohl wissen, ob sich das noch ausgeht. Generell juckt ihn die Freude am Rennfahren, das stimmt schon. Aber einem Hirscher geht es auch um Platzierungen. Und ich denke nicht, dass er sich wieder auf die Ski stellt, um bei einem Fis-Rennen in die Ränge zu fahren. Hirscher wird niemals Ski fahren, um Zweiter zu werden.

Video: Ski-Star Hirscher plant Comeback für die Niederlande.
APA

STANDARD: Er hat seit fünf Jahren keine Rennen bestritten. Das ist im Spitzensport eine Ewigkeit. Kann das gutgehen?

Knauß: Die Frage ist, wie er sich nach fünf Jahren körperlich wieder einstellen kann. Soweit ich weiß, hat er auf der Reiteralm laufend trainiert und Ski getestet. Das alles auf extrem hohem Niveau. Für uns war er fünf Jahre sportlich weg – aber eigentlich ist er immer drangeblieben. Ich denke, es fehlt nicht viel. Sein Schwung war grenzgenial, der schnellste Schwung der Welt. Und der ist ihm geblieben.

STANDARD: Aber die Sportwelt ist nicht stehengeblieben, die Konkurrenz ist stärker geworden.

Knauß: Das ist richtig. Marco Odermatt hat im Riesentorlauf einen neuen Stil reingebracht. Das hat sich gewaschen. Diese Brutalität ist kaum zu erreichen. Das ist an der Grenze des Machbaren. Körperlich, geistig, technisch. Er hat in der Disziplin ein neues Kapitel aufgeschlagen. Selbst für einen Marcel Hirscher in Topform wäre es da schwierig, um den Sieg zu fahren.

STANDARD: Der Skizirkus hat sich auch abgesehen von Odermatt weiterentwickelt.

Knauß: Ja, natürlich. Aber Hirscher war mit seiner Skifirma ein Teil dieser Weiterentwicklung. Der hat doch jeden Ski selbst getestet und ans Limit geführt. Was das Material betrifft, wird für Hirscher nichts Neues auftauchen. Er ist immer an der Quelle gesessen.

STANDARD: In den technischen Disziplinen sind die meisten Topfahrer doch um einiges jünger. Sind 35 Lebensjahre ein limitierender Faktor?

Knauß: Machen Sie sich keine Sorgen. Hirscher ist körperlich eine Maschine, der ist noch immer fit. Das wird ihm den Wiedereinstieg erleichtern.

Hans Knauß: "Hirscher ist körperlich eine Maschine, der ist noch immer fit."
APA/ERWIN SCHERIAU

STANDARD: In welcher Disziplin kann er schneller den Anschluss finden? Im Slalom oder im Riesentorlauf?

Knauß: Seinen Rekordvorsprung von 3,28 Sekunden hat er damals im Riesentorlauf von Garmisch herausgefahren. Ich sehe ihn im Riesentorlauf schneller zurück in den Top Ten als im Slalom. Im Slalom gibt es viele Nationen, die auf hohem Niveau trainieren können. Und im Slalom benötigt es auch mehr Schnellkraft. Ich denke, er kann seinen Schwung im Riesentorlauf besser einsetzen. Aber er wird mich schon eines Besseren belehren.

STANDARD: Wie wird also der Fahrplan aussehen?

Knauß: Er muss sich jetzt einmal die Punkte und die Startnummer über Fis-Rennen hart erarbeiten. In Argentinien, Chile, Australien, Neuseeland. Bei diesen Rennen gibt es auch nichts geschenkt. Aber wenn er etwas macht, dann macht er es richtig. Das ist der Hirscher, der Seriensieger. Sobald er mit der Startnummer Richtung Top 30 kommt, dann fährt er wieder vorn mit. Dann geht es flott Richtung Top Ten. Daran habe ich keine Zweifel.

STANDARD: Wie lange kann das dauern?

Knauß: Ich sehe ihn gegen Ende des Sommers oder spätestens im Herbst zwischen der Nummer 35 und 40. Das wird er relativ schnell schaffen.

STANDARD: Es gibt Gerüchte über eine mögliche Trainingspartnerschaft mit Lucas Braathen, der für Brasilien startet. Kommt es zu einer Red-Bull-Achse?

Knauß: Ich sehe da einen Riesenapparat dahinter. Hirscher, Braathen, Kristoffersen, vielleicht Pinturault. Die könnten gemeinsam was Großes aufziehen. Die Möglichkeiten wären jedenfalls da.

STANDARD: Es ist also kein Nachteil, für die Niederlande an den Start zu gehen?

Knauß: Nein. Hirscher war ja niemals ein reines ÖSV-Produkt. Das darf man nicht vergessen. Beim ÖSV würde er in einem Korsett stecken, da hätte er gar nicht alle Freiheiten. Er möchte tun und lassen, was er will. Auch darum startet er lieber für die Niederlande.

STANDARD: Werden die österreichischen Skifans trotz des Nationenwechsels hinter Hirscher stehen?

Knauß: Der Österreicher liebt Bier, Schnitzel und die Siege der Österreicher. Damit kann er sich identifizieren. Ist Marcel Hirscher für die Skifans jetzt der Holländer oder noch immer der Österreicher? Das ist eine offene Frage. Ich persönlich freue mich sehr über sein Comeback. Es bringt Farbe in diesen brutal umkämpften Skiweltcup. Das kann allen nur guttun. (Philip Bauer, 24.4.2024)